von Michael Royen
Anmerkungen zu den mit Farbe attackierten Journalbildern.

Die einzelnen Auffassungen der Stylisten, Photographen, Mode- und Graphik Designer die vielleicht in der Flut der Abbilder zum tragen kommt ist nicht Gegenstand meiner Betroffenheit. Auch nicht das den Abbildern zugrunde liegende Produkt.

Kann es durch das Attackieren von Illustriertenbildern zu einer Bildherstellung im traditionellen Sinne kommen? Wahrscheinlich ist eine solche, zugegeben, sekundäre Überlegung folgerichtig. Der Angriff auf Drucke, eine Bildvernichtung – zunächst, wird nicht durch eine weitere nachträgliche Gestaltung (Korrektur, Akzentuie­rung u.ä.) ergänzt. Er ist was er ist: Ein Angriff. Widerholungen der Angriffe sind in der Phase der Auseinandersetzung nicht steuerbar. Die anschließende Selektion aber bestimmt die Arbeit als eine an­genommene oder verworfene, d.h. zerstörte. Dieser Ausschuss (ich nenne das so) kann nichts mehr vermitteln, retten, oder auch nur verdecken. Durch die Auswahl aber wird die eigenen Affektiertheit offenbar. Ich rette letztlich aus dem Wust der angegriffenen Dru­cke die attraktiven Blätter. Diese zeigen oft in entlarvender Offen­barung eigene Obsessionen, Ambivalenzen und Animositäten.

Dazu möchte ich ein paar Anmerkungen machen dürfen. Es ist nicht so, dass ein Photo aus den Illust­rierten zufällig mal gerade so daher spaziert kommt. Vielmehr gibt es sich im Gewand einer ganz bestimmten Illustrierten, so, als ob es nur dort in Erscheinung tre­ten könne. Was belegt diese Vermutung? Das Photo steht in keiner Ausnahmesituation (Galerie oder Kunstbuch etc.) sondern in ei­nem Journal. Es wird für Journale angelegt oder gefertigt. Da es in einem Wald von Ähnlichkeiten erscheint muss es sich mehr auf­plustern als gemeinhin notwendig. Damit es überhaupt wahrge­nommen werden kann und zwar als ein Besonderes unter tausend anderen besonderen Fotos ist es im allgemeinen mit allen Attri­buten eines attraktiven Fotos ausgerüstet. Unter tausend anderen Fotos heißt: Alle Fotos versuchen das gleiche, oder behaupten dies mehr oder weniger auf die eine oder andere Weise. Sie sind aufdringlich wie Blumen.

Ein Mode­photo in einer Illustrierten ist eine Tatsache, ein Phä­nomen der artifiziellen Erscheinungswelt. Da ich mich diesem Phänomen ausgesetzt fühle und nicht anders kann als mich dem zu stellen und möchte hier versuchen darzulegen warum. Die Bilderflut als den eigentlichen Rohstoff anzusehen, mit dem die Er­stellung neuer Bilder, die zu einer transformierten Ästhetik führten, hat bereits  Tradition. Infolge der Collagen aus der Zeit der Dada-Künstler oder Surrealisten sind Arbeiten von Andy Warhol oder Robert Rauschenberg (auch Wolf Vostell) die wuchtigen Antago­nisten unserer durch Medien konstituierten Gesellschaft. Sie (und viele andere) formierten Fotos zu sensationellen, oftmals iko­nographischen Bildern. Eine Art der Aufbereitung, die uns poten­tiell die Chance bietet eine Disposition zu behaupten. Ihr Pendant wäre in der Arbeit der Décollagisten zu sehen, wie beispielsweise bei Jacques de la Villeglé oder Rotella u.a..

Sich der Penetranz der Bilder zu entledigen ist durch fortwerfen nicht möglich, da dies nur ein Abbruch bedeutet. Was ich nicht aushalten kann ist von mir nicht erledigt worden indem ich mich dessen entledige. Man muss sich schon auf die Bilder einlassen, sich mit ihnen abmühen und sich an ihnen abarbeiten. Nur dadurch kommt es zu so etwas bizarrem, wie ein Wutanfall auf Drucke. In diese Wut hinein mischt sich das Erbarmen mit dem traktiertem. Ich sehe es oft personifiziert in der abgebildeten Person. Diese be­kommt Persönlichkeit dadurch sie exemplarisch herhalten muss für den Befreiungsschlag. Ein anonymes Opfer, welches durch die Attacke gekürt, als ein Indiz für den Täter fungiert. Ich stehe in Beziehung zum Abbild, das zu bearbeiten ich für wert befunden habe (wenngleich zunächst nur als zerstörend zu bearbeiten).

Ich setze eine Hand voll Gründe gegen hundert Gründe eine sol­che Auseinandersetzung nicht zu führen. Vielleicht kann man sa­gen, das durch die Attackierung des Drucks auch eine Aneignung stattfindet. Ein wahrhaftiger Grund. Der Druck vor dem Fortwer­fen zu bewahren ist sicherlich kein Argument für den Diskurs. Es als Malgrund zu bezeichnen, oder zu benutzen ist pfiffig oder ober­flächlich. Die dargestellten Frauen sind keine rehabilitierten Opfer wenn sie Mittel zum Zweck einer anmaßenden Malerei werden – oder eben doch. Wer weiß das schon? Sollten die Drucke dem Schicksal, nämlich in den Mülleimer zu wandern, entkommen, dann wäre es sicherlich außergewöhnlich, aber nicht unbedingt das Werk des Malers, der sie fragmentarisch auf seinem Bild erscheinen lässt.

Zur Erstellung eines Fotos für ein meist mehrere hundert Seiten um­fassendes Journal notwendige Voraussetzung ist der Zeitgeist. Dieser kann nicht gelehrt oder studiert werden. Er ist in gewisser Hinsicht gar nicht identifizierbar. Zusammengesetzt aus dem Stil der Photographie, der aktuellen Mode, dem ebenso modernen Make up, präsentiert sich das Bild in absolutistischer Perfektion: Hintergrund und Beleuchtung, Make up und Frisur, Outfit und Accessoire, Model und Photograph (sichtbar-unsichtbar)  sind auf­einander abgestimmt und be­wegen sich in der ausgeklügelten Äs­thetik eines Altarbilds. Anbetungswürdig  in der Inszenierung. Wa­rum sollten diese Fotos nicht die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen? Eine geradezu abstruse Überlegung.

Diese Inszenierung wird meist in einer Sequenz von Bildern fort­gesetzt zum Zwecke der Präsentation einer Kollektion – die Bild­stationen. Das scheinbare Angebot, die behauptete Verschieden­heit der Geschmäcker, spielt eine vermeintliche Vielfalt vor. Ein Feld magischer Unberührtheit weiß der Photograph stets zu berücksichtigen. Es ist der Raum für Text oder Werbung (das Ge­bet?). Dieser An­teil des Bildes erscheint uns natürlich nicht unbe­rührt, da er ja be­druckt worden ist. In der Beschreibung des Bildes erkennen wir die Botschaft („sei so“, und „will es“, etc.).  Die Erweiterung des Bildes durch begleitenden Text, der darauf auf­merksam macht, dass es auf dem dargestellten Bild um das Kleid, die Frisur oder das Make up geht, hat manifestierenden Charakter. Da diese Bilder (auf magische Weise) die Individualität des darge­stellten Sub­jekts eliminieren und sogar sämtliche persönliche Am­bitionen des Auftraggebers, des Photographen gleich mit auszura­dieren verstehen, sind sie – über­irdisch. Die Bilderstellung versteht sich als Erfüllung der Weissa­gung. Wir glauben diesem Bild entrinnen zu können, da wir es ja in den Mülleimer kippen. Das aber erscheint mir vorschnell. Man darf nicht vergessen (wie könnten wir), dass be­reits nächste Woche, oder im folgenden Monat ein neues Jour­nal mit der gleichen Bildsprache erstellt ist und uns zum Kauf vor­liegt. Das erstellte Bild der Eva ist die geschmückte Braut, die sich ihm als Geschenk präsentiert. Diese zweite Eva ist überzeugend durch ihre Verpackung. Der Inhalt verspricht sich im tradi­tionellen Sinne, enttäuscht allerdings die Erwartung. Die Bildung des Mannes (was ist das Objekt deiner Begierde und wie hättest du es gerne?) erscheint dabei geradezu biblisch. Die in den Modejournalen Werbung Treibenden wenden sich im allgemei­nen an die Frau und diese an ihren Mann.  Sie gibt sich ihm so wie es im Spiel des Appetitmachens en vogue  ist: Fleisch essen ist das Angebot.

Erstellung eines überirdischen Frauenbildes ist die Aufhebung der Differenz. Das ist in der Darstellung Jesu sowie aller religiösen Cha­raktere omnipräsent. Ebenfalls in der Götterdarstellung bei den Grie­chen, den Römern und aller anderen Hochkulturen auch (man denke nur an Buddhadarstellungen) im Buddhismus. Die überirdische Frau ist jung und symmetrisch, denn das sind die Unbedingtheitsattribute des Schön­heitsideals. Die Göttliche hat keine Persönlichkeit, da dies ja eine menschliche Eigenschaft wäre. Die Anmut kommt charakter­los, aber mit Idealmaßen daher. Ich nenne das Abbild des Mäd­chens überirdisch (Feministen nennen dies vielleicht un­mensch­lich).  Was ich tue, wenn ich diese Fotos des Zeitgeistes vor dem Ver­gessen (oder vor der Entsorgung)  retten möchte, ist eine Art Wut­ausbruch. Dieser Wutausbruch entspringt vielleicht einem Befrei­ungsversuch. Die pathetische, entgültige Zerstörung des Bildes ist ja schließlich auch ein Bekenntnis, oder eine Entlarvung der eige­nen Tat der ich zum Opfer falle. Ich entblöße die Ambivalenz meines Tun in einer lächerlichen Bild­zerstörung. Ich stehe zu dem Bild in einer pathologischen Beziehung. Die Selbstentblößung tritt durch die Bearbeitung der überirdischen Ikonen in Erscheinung. Mein Bekenntnis zur Vorlage verschafft dieser vielleicht zu einer Bildexistenz. Einerseits ist es vielleicht nur psychologisch-patholo­gisch zu erklären, andererseits geht mit dieser obskuren Befreiung (die Attackierung mit Farbe als Befreiungsschlag) die Bildrettung mit einer Selbstrettung (was hier auch Selbstfindung heißt) einher. Es kommt überraschender Weise zu einem Bild durch den Versuch der Entledigung desselben. Ich glaube das dieser Reflex, nämlich etwas loszuwerden, durch eine symbolisch-faktische Realität (die der Zerstörung) eine Selbstrettung möglich macht, sofern ich die Ganzheit ei­nes Bildes (Bild und mein Eingreifen) ertrage. Ähnlich wie ein Torso seine Attraktivität durch sein bruchstückhaftes Er­scheinen behauptet, sind Verletzungen geeignet Verletzlichkeit zu zeigen und machen durch das Antastbare das scheinbar Unantast­bare erst schön. Die Risse im Holz der Liebes­paarskulptur von Jeff Koons (Museum Ludwig Aachen) reißen auch eine Verletzung in die Ästhetik des „Komplettkitsches“ – eine Rettung? Vielleicht. Es ist wohl nicht von der Hand zu weisen, dass es den scheinbar irrsinni­gen Bildzerstörern zu einem gewissen Teil ähnlich ergehen mag. Zugegeben, das Fortwerfen des Journals wird im allgemeinen wohl eine Lösung sein können. Dass aber erschüttert die faktisch um­fas­sende Präsenz dieser entpersonifizierten Göttlichkeit  keinesfalls. Der Bildzerstörer profitiert von der Unfähigkeit des los-lassen-kön­nen in unserer Kultur. Unsere manische Wertesicherung macht ihn berühmt durch Zerstörung des Heiligtums. Ein bizarrer Weggenosse, mit dem zu reden immer ertragreich ist. Ambivalenz zur eigenen Ambition, die Sucht Bilder zu zerstören und dadurch zu retten, wiederzubeleben oder umzuformen ist vielleicht ein Weg des Erwachsenwerdens. Vielleicht geht dies nicht nur mich etwas an. Das Phänomen, so glaube ich, bedarf der Be­achtung und könnte eine Aussöh­nung von Inhalten und Inhaltsentleerungen sein. Nicht die Tatsa­che dieses uns alltäglich umgebenden Gottersatzes produziert die Wegwerfgesellschaft, son­dern, dass wir mit der von uns selbst er­schaffenen Perfektion dieses Ersatzes nicht mehr ins Gericht zie­hen wollen, ich will nicht einsehen, dass es gescheiter wäre aufzugeben.

Ich übermale nicht, weil ich nichts verdecke. Ich will, das man mein Opfer (den Druck) sieht und was ich mit ihm getan habe. Die Attackierung (Überarbeitung) des illusionistischen Drucks trans­formiere ich  zu einem Bild. Wenn diese Form der Auseinanderset­zung ein Bild ausstößt, dann ist es auch ein wirkli­ches wahrhaftiges Bild. Nebenbei bemerkt, die Selektion welcher Druck geeignet ist und was an ihm bearbeitungswürdig scheint ist nicht darstellbar. Wie viele der überarbeiteten Drucke vernichtet werden, ist schon gar nicht vorzuführen. Schlussakt des Prozedere: welches bearbeitete Blatt kann auf ein Übrigbleibenden hoffen.

Ich bewege mich mit meinen Attacken auf Bilder durchaus in der Welt der Vorstellungen. Ein Abbildung anzugreifen ist vom Reflex her nichts anderes als eine Bildzerstörung. Die Rettung vor dem entgültigen Aus der Abbildung – nämlich im Mülleimer zu landen –  kann ich durch diesen Akt verhindern. Eine reale Tat ist dies daher nicht.

Der Attentäter, welcher Bilderzerstörung bezreibt, ist ein Spiegel aus der realen Welt.

Der grüne Heinrich des Gottfried Keller kann seiner Geliebten den Treueschwur erst geben, als sie schon gestorben ist. Weil er durch das Glasfenster des Sargdeckels sie endlich als das sehen kann als das er sie immer schon geliebt hatte, als Bild.

Wir, damit meine ich alle die wissen wollen was wirklich ist (und daher vielleicht Künstler sind) müssen in uns morden was aus uns werden sollte. Der in uns  eingepferchte Ehrgeiz der Erzieher, diese eingefleischte Bildung, der Affenzirkus des Erwachsenseins muss zum verlöschen gebracht werden. Nichts darf übrig bleiben von dem Unrat; wir müssen uns gründlichst erbrechen oder fatal entleeren, sonst gibt es kein Ich,  keinen Neu­anfang, keine Selbstwerdung.

Frei nach Nietzsche: Wir werden frei sein und leben wie die Götter wenn wir die uns abgeforderte  Moral wegwerfen.

 

Michael Royen 1992