von Michael Royen

„Das Wahre ist das Unwahre“
Th. W. Adorno

„Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, die Gründe hat ihre Gründe zu ver­bergen.“
Günter Schulte

 

Das Wahre, an der Malerei ist das Bild, der eigentliche Beleg stattgefunde­ner Arbeit. Diesen Beleg  der malerischen Arbeit zu retten hat die Philoso­phie vielleicht dazu gebracht zunächst den Wahrheitsbegriff selbst zum Zentrum ihrer Reflexion zu machen. Sie analysiert die Wahrheit als ein Begriff aus der Historie und schlägt uns vor sie als geopfert anzusehen. Die Wahrheit, die unser höchstes Gut sein sollte, wurde in neuerer Zeit ausge­laugt und verkochte zu jenem Einheitsbrei, der schlussendlich die christliche, sowie die Ethik der Aufklärung, zum Opfer fielen.  Bei der fortwährenden Verharmlosung, mit der noch die ungeheuerlichsten Verbrechen der Erklä­rungsbegeisterung  neuzeitlicher Verdrängungsakrobaten niedergeredet wurden, atomisierte sich der Wahrheitsanspruch geradezu von selbst.  Der Wahrheitsbegriff,  der verdinglichten Welt die zum Amalgam einer paraly­sierten Vergnügungsgesellschaft polymerisierte, ist zum Aushängeschild des zu verkaufenden Produkts, beziehungsweise zum Ornament des Gewands  der sich anpreisenden Ideologien geworden.  Eine Welt, in der alles wahr ist – das Beliebige genauso wie das Unglaubliche, das Teure wie das Billige, das Gelogene, das bloß Dahergesagte, das Neue und Alte, das je Gedachte und Ge­schehene, alles wurde mit einem bedeutungslos gewordenem Wahrheitsbegriff gekürt, wie immer dieser auch beschaffen sein mochte – er ist mit der Lüge Wahrheit gestockt worden – nach Th. W. Adorno. Alles wurde mit Authentizitätsge­habe und Wahrlügerei zur Wahrheit hochstilisiert. Im Kanon der alltägli­chen Wahrlügerei  ist der Wahrheitsbegriff zum unerlässlichen Schnörkel der Pralinenschachtel Bewusstsein geworden, welches sich seine unstillbare Ge­nussfähigkeit vor der bösen Außenwelt, einer Realität, die nicht ins Bild passt,  mit dem ungläubigen Kürzel really – (wirklich)? immunisiert.

Dieses vom Sein der Vergnügungsindustrie konstituierte Bewusstsein, hat mit dem ehemaligen Anspruch des Geistes, nämlich der Erschaffung unse­rer Werte und der Konstituierung einer aufgeklärten Gesellschaft nichts mehr gemein. Sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und aus der von Kant angenommenen, selbstverschuldeten Unmündigkeit zu emanzipieren ist der „Realität? – Nein Danke!“ Ideologie gewichen.

Allein  in den Künsten sah Adorno die Möglichkeit etwas zu schaffen, was sich dem Ganzen, dem Subsummieren unters Prinzip der Entfremdung und Verdinglichung (modern ausgedrückt: dem Markt und der Konsumin­dustrie) zu entziehen vermöchte (wohl weil ihm in dem Erschaffen von Kunst ein verdinglichtes Handeln nicht erkennbar sein wollte).

Adorno sieht ausgerechnet in der Kunst eine Möglichkeit, die Wahrheit zu retten? Wieso soll in der Kunst die Wahrheit nicht über Bord gegangen sein? Es ist dies seine Vermutung, dass die Kunst nicht unter dem Prinzip der Verdinglichung eine Fremdbestimmung erleidet, die sie ihrer Authenti­zität beraubt und also auch ihrer Vermarktung trotzen kann.

Ich glaube, wir dürfen heute sagen, dass er mehr besorgt war um die in der Tradition der Auftragskunst übliche Bevormundung der Kunst durch den Auftraggeber. Diese Bevormundung hatte die moderne Kunst abgeschüttelt und war dadurch sozusagen zum Zweck an sich selbst geworden. Die Kunst – und zwar in allen Bereichen – formulierte nur mehr ihre ureigens­ten Probleme, Vorlieben und Ambitionen. Dergestalt emanzipiert konnte sie aus ihrer marginalen Position heraus Gesellschaftskritik üben, gewisser­maßen ohne in den Verdacht zu geraten, ideologisch, parteiisch oder in ir­gendeiner Weise fremdbestimmt zu sein.

Adornos Ästhetische Theorie ist der Versuch diese außergewöhnliche Po­sition zu verteidigen und zu festigen. Die Kunst würde in diesem Status (vielleicht könnte man sie überparteilich nennen) die Wahrheit aus ihrem eigenen Antrieb heraus wesenhaft evozieren. Kunst ist die Erschaffung von Wahrheit durch die sie sich in entscheidender Weise selbst als Kunst konstituiert. Das Instrumentarium zur Beurteilung von Kunst ist die ihr inne­wohnende eigentümliche Wahrheit. Dass macht sie unkorrumpierbar, da sie sich selbst aufhebt und ad absurdum führt, wollte sie diesem Signum nicht Rechnung tragen. Diese dem Kunstwerk innewohnende Wahrheit ist der kompromisslose Spiegel; das  oftmals schockierende an der Kunst.

Form und Inhalt können das Rätsel des Kunstwerks nicht lösen, wenn­gleich ein Kunstwerk ohne dies nicht zu denken ist. Politisch ist die Kunst, weil sie aus den gesellschaftlichen Verhältnissen heraus entsteht und da­durch immer schon geprägt ist. Die gesellschaftlichen Verhältnisse aber sind es Ihrem Vermögen nach nicht, die den Inhalt oder die Ambition der Kunst kristallisieren, sie sind das was die Ausformungen der Kunst zu transportieren hat.

Die Kunst wollte kein Konsum- oder Vergnügungsartikel sein. Auch wenn die Kunst von der Auftragskunst des Christentums und der Königs­häuser über die Genremalerei fürs heraufziehende Bürgertum zum bezie­hungslosen Handelsobjekt geworden ist, so ist die Erstellung des Kunst­werks in der Moderne dennoch vornehmlich autoreflexiv geblieben. Der Beweggrund des Künstlers, war stets ein Hadern mit sich selbst, dem Ob­jekt seines Interesses und der Kampf mit dem Instrumentarium, der Tech­nik die es zu bezwingen galt. Diese Ambition scheint nicht den Marktgeset­zen Folge zu leisten. In der Musik, Literatur, Malerei und Bildhauerei, im Film und im Tanz und allen anderen Künsten erkennen wir das Beharren auf die Er- und Bearbeitung eigener Kosmologie. Egal ob dies mit Musik, Poesie, Literatur, Skulptur oder Malerei, oder was immer geschieht. Auch wenn die Anstrengung des Einzelwesen, welches sein Sein formuliert, oft­mals mit Rührung betrachtet worden ist, so sind diese Menschen die Künstler, die eigentlichen Heroen ihrer Zeit, ihrer Kultur. Sie sind die Be­troffenen einer Gesellschaft die formulieren was sie ausmacht und erstellen – reflexiv – was später ihre Gesellschaft prägt und ausmacht; ihre Kultur. Das Erscheinungsbild der kulturellen Anstrengung ist ihr Werk. Die Kunst ist das Rückgrat aller Kulturen, die Künstler das Mark im Knochen. Das Gesicht aller Religionen, Kulturen und Zivilisationen ist das Werk der Künstler. Die Kunst erschafft und konstituiert das Bild des Menschen und auch das der Gottheiten. Nichts ist so empfindlich und zugleich so stark wie die Kunst. Sie erschafft und erweitert das Menschenbild. Ergänzt durch die Wissenschaft kann man sagen, dass Antlitz des Menschen ist seine Kultur, deren Erschaffer die Künstler und Erfinder sind. Die Konstruk­teure ihre Mitstreiter, die klugen Machthaber ihre Förderer. Bestenfalls.

Gleichgültig in welchem Bereich, die Kunst rettet das Antlitz des Men­schen. Wir nennen diese Anstrengung Kultur. Die Inhalte, ihre Aus-sagekraft, das was sie in uns bewegt und verändert ist unser hohes Gut. Die Künste retten die geschundene Seele, trösten den beleidigten Geist, weil sie uns helfen das Leben aushalten. Weil sie unsere Welt gestalten, sozusagen in Form bringen, können wir durch sie unsere zweite, künstliche, Natur annehmen und darum ist sie Ausdruck des Selbstbewusst­seins jeder Form von Kultur und Zivilisation. Das Wissen um diesen Wert gilt es zu erhalten oder zu retten. Es geht um uns, denn ohne unsere Würde, der vornehmlich die Kunst Rechnung trägt, verlieren wir uns im beliebigem, im allgemeinen.

Wir müssen die Kunst daher zu spüren bekommen! Ihre Gewalt ist das Schütteln des Schlafenden damit er erwacht. Ihr Ethos ist die Wirklichkeit, ihre Ambition die Wahrheit.

 

Michael Royen